2015, das Jahr der
Neocon-Militaristen: droht eine globale Finanzkrise und Krieg?
3. Januar 2015
(2015 : the year of neocon militarists: facing a
global financial crisis and war?)
Von Prof. Rodrigue Tremblay (*)
Militaristische Neokonservative, kurz
Neocons [1], haben heutzutage die beinahe vollständige Kontrolle über die
amerikanische Regierung inne, ganz egal wer der jeweilige US-Präsident ist. Sie
lenken die US-Politik im Außenministerium, im Pentagon, im Finanzministerium
und bei der Federal Reserve, also der Zentralbank. Sie sind damit in der Lage,
auf die amerikanische Außenpolitik, Militärpolitik, Wirtschafts- und
Finanzpolitik sowie Geldpolitik Einfluss zu nehmen und diese nach ihrem Willen
zu gestalten.
Die Neocons kamen erstmals unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan
(1981-1989) zum Zug, der eine von ihnen inspirierte „Außenpolitik des
Muskelspiels“ einschlug, die auf militärischen Interventionen im Ausland,
permanenter Kriegsführung, willkürlichen Regimewechseln und der Forderung nach
einer imperialen Weltherrschaft [2] auf allen jenen Gebieten beruhte, welche
amerikanische Interessen und jene der engeren Verbündeten berühren. Unter der
Präsidentschaft von George H. Bush (1989-1993) wurde der Einfluss der Neocons
etwas zurückgedrängt und sie galten eine Zeitlang als die „Verrückten im
Keller“, was aber ihren neuerlichen Aufstieg innerhalb der amerikanischen
Regierung unter der Präsidentschaft von Bill Clinton (1993-2001) nicht
verhinderte: mit dem von den USA geführten Kosovo-Krieg und der
unverantwortlichen Aufhebung der Finanzregulierungsgesetze aus den
1930er-Jahren, die unter der Bezeichnung Glass-Steagall Act [3] bekannt sind,
wurde damals ein Weg eingeschlagen, der letztendlich zur weltweiten Finanzkrise
des Jahres 2008 führte.
Den größten Erfolg landeten die Neocons jedoch unter der Regierung von
George W. Bush und Dick Cheney (2001-2009), als sie letzteren im Jahr 2003 dazu
motivieren konnten, die (illegale) Invasion im Irak unter der Führung der USA
vorzunehmen, die zu einem Krieg führte, der bis heute, zwölf Jahre danach,
andauert und an Umfang sogar noch zunimmt. Die Neocons entwarfen die sogenannte
„Bush-Doktrin“ [4], welche (illegale) Präventivkriege und erzwungene politische
Regimewechsel in anderen Ländern gutheißt.
Diese Doktrin war von den Neocons schon von langer Hand vorbereitet worden,
zuerst von Paul Wolfowitz, als dieser stellvertretender Verteidigungsminister
in der George H. Bush-Regierung (1989-1993) war, auch wenn Präsident Bush diese
Doktrin später öffentlich in Abrede stellen sollte, und wurde ferner in
verschiedenen Essays propagiert, welche von einer von William Kristol [6] und
Robert Kagan [7] gegründeten neokonservativen Denkfabrik namens „The Project
for the New American Century“ (PNAC) [5] veröffentlicht wurden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 traten die
kriegslüsternen Neocons mit der Parole auf, dass es keine „Friedensdividende“
[8] für die amerikanischen Steuerzahler geben dürfe, sondern vielmehr die
Vereinigten Staaten die Gelegenheit ergreifen müssten, zur einzigen
militärischen Supermacht der Welt zu werden und daher statt einer Verringerung
der Militärausgaben diese vielmehr noch erhöhen müssten. Die Zielsetzung war
die Errichtung eines militärischen New American Empire [9], das im 21.
Jahrhundert diejenige Stelle einnehmen sollte, die das britischen Empire [10]
im 19. Jahrhundert eingenommen hatte.
Es kam wie es kommen musste: nach den 11. September-Ereignissen und der
Amtseinführung von George W. Bush im Weißen Haus im Jahr 2001, war Paul
Wolfowitz [11], nunmehr stellvertretender US-Verteidigungsminister unter Donald
Rumsfeld [12], in jener Position, die es ihm erlaubte, erhöhte Militärausgaben
der USA zu fordern und für eine neue aggressive US-Außenpolitik [13] einzutreten.
Besonders besorgniserregend war ein bereits im Jahr 2000 publiziertes
Forderungspapier der PNAC, in dem unter dem Titel „Rebuilding America’s
Defenses“ („Amerikas Verteidigung wiedererrichten“) die hintergründige These
formuliert wurde, nur ein „neues Pearl Harbor“ [14] könne die amerikanische
Bevölkerung dazu bewegen, diejenigen Änderungen in der Militär- und
Verteidigungspolitik zu akzeptieren, welche von der neokonservativen Gruppe
vorgeschlagen wurde. Paul Wolfowitz war ein Unterzeichner dieses Papiers. Im
September 2001 war es dann soweit: das „neue Pearl Harbor“ kam – wohl nicht
zufällig und jedenfalls nicht unwillkommen – in Form der Angriffe vom 11.
September zustande.
Es folgten der Krieg gegen Afghanistan [15], wo die aus Saudi-Arabien und
einigen anderen Ländern stammenden Terroristen des 11. September ausgebildet
worden waren und der Krieg gegen den Irak [16], ein Land, das nicht einmal im
entferntesten mit den Ereignissen des 11. September in Verbindung stand.
Heute, zu Beginn des Jahres 2015, besetzen die Neocons alle
Schlüsselpositionen in der Regierung unter Barack Obama, und es ist daher wohl
keine Überraschung, dass die US-Außenpolitik sich von derjeniger seines
Vorgängers George W. Bush kaum unterscheidet. Die Neocons sorgen beständig für
Provokationen, Auseinandersetzungen, Konflikte und Kriege. 2015 könnte somit
das Jahr sein, in der einige der von ihnen entzündeten Brände sich zu richtigen
Feuersbrünsten entwickeln.
Schauen wir uns einige dieser potentiellen Brandherde etwas näher an.
1.
Die Gefahr einer weiteren großen Finanz- und
Wirtschaftskrise
Am 21. Juli 2010 unterzeichnete Präsident Obama eine bereits ziemlich
verwässerte Version eines Wall Street-Reform- und Verbraucherschutzgesetzes
(DoddFrank Wall Street Reform and Consumer Protection Act) [17], um der
Korruption des Finanzsektors Herr zu werden, welche die Finanzkrise 2008
hervorgebracht hatte. Das neue Gesetz sollte Teile der von der
Clinton-Regierung im Jahr 1999 aufgehobenen Bestimmungen der
Finanzregulierungsgesetze aus dem Jahr 1933 (Glass-Steagall Act) wieder in
Kraft setzen, um Megabanken und Versicherungsunternehmen davon abzuhalten,
staatlich versicherte Einlagen dafür zu verwenden, durch riskante Wetten auf
dem Derivatemarkt (Credit Default Swaps, Commodity Swaps, Collateralized-Debt
Obligations und andere riskante derivative Finanzprodukte, etc.) eine
Schuldenpyramide zu errichten.
Und was ist daraus geworden? Nur vier Jahre später, am 16. Dezember 2014,
hatten Lobbyisten und Anwälte, die Vollzeit für die Megabanken arbeiteten,
Präsident Obama so weit, dass er ein allerlei Rechtsmaterien beinhaltendes
sogenanntes „Omnibus“-Gesetz [18] unterzeichnete, das als Haushaltsentwurf
verkleidet war, aber nichtsdestotrotz gute 1,1 Billionen Dollar schwer wog;
dieses Gesetz enthielt nämlich eine Bestimmung, welche die sogenannte
Swaps-Pushout-Regel wieder außer Kraft setzte, die von den Banken, die über
staatlich versicherte Einlagen verfügten, verlangt hatte, ihren spekulativen
Derivatehandel nur mehr über nicht versicherte Tochtergesellschaften
abzuwickeln, was die Möglichkeiten der Banken für derartige Geschäfte natürlich
deutlich eingeschränkt hatte. Nunmehr, aufgrund des „Omnibus“-Gesetzes, dürfen
sich die amerikanischen Megabanken wieder voll im Spekulationsgeschäft mit
staatlich versicherten Einlagen engagieren. Wann dieses Finanzkartenhaus
neuerlich zusammenstürzt, ist derzeit noch nicht abzusehen, aber man kann mit
Sicherheit davon ausgehen, dass dies früher oder später der Fall sein wird, vor
allem dann, wenn die Wirtschaft von einem schweren politischen oder
wirtschaftlichen Schock getroffen wird.
Ich sehe darin ein Spiel mit dem Feuer seitens der Finanzinstitute und
betrachte Obamas Kniefall vor den Megabanken als reinste politische Feigheit.
Denn wenn es zu einem wirtschaftlichen Chaos kommt, werden sicherlich nicht die
Megabanken, die ihre während der Finanzkrise des Jahres 2008 insolvent
gewordenen forderungsbesicherten Wertpapiere mittlerweile wieder in frisch
gedrucktes bares Geld umwandeln konnten, dafür geradestehen, sondern die
einfachen Bürger.
Die US-Wirtschaft und viele andere Volkswirtschaften sind noch immer von
den Folgen der Finanzkrise des Jahres 2008 gezeichnet, die durch korrumpierte
Politiker und Banker aufgrund laxer oder einfach nicht vorhandener
Kontrollregelungen und übermäßiger Spekulation verursacht wurde. Solche
Volkswirtschaften sind anfällig und empfindlich gegenüber unvorhergesehenen
finanziellen Schocks, weil in vielen Ländern das Verhältnis der Verschuldung
zum Einkommen noch immer sehr hoch ist; dies gilt insbesondere für die USA, wo
der Verschuldungsgrad kurz vor der Rezession 2008-09 einen Spitzenwert von 177
Prozent erreicht hat und heute noch immer bei 152 Prozent liegt. (In der
Vergangenheit lag das Verhältnis der Verschuldung zum Einkommen deutlich unter
90 Prozent.) Ein plötzlicher Anstieg der Zinssätze könnte daher verheerende
Folgen für viele Volkswirtschaften nach sich ziehen.
Zum einen schwankt die Europäische Union [19], die größte Volkswirtschaft
der Welt, am Rande der Rezession und leidet unter den verschiedenen staatlich
verordneten Sparprogrammen, unter einem überbewerteten Euro (was die Länder der
Eurozone betrifft) und unter den Einbußen der Wirtschaft infolge des
Russland-Ukraine-Konflikts. Für Europa ist das laufende Dezennium ein
verlorenes Jahrzehnt mit hoher Arbeitslosigkeit, geringem Wirtschaftswachstum
und schlechter werdenden sozialen Bedingungen. Und es ist noch kein Licht am
Ende des Tunnels abzusehen…
Das Wachstum Chinas [20], der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt,
verlangsamt sich ebenfalls sehr rasch infolge eines Überschusses an
Produktionskapazität, schwachen weltweiten Nachfrage und der 25-prozentigen
Aufwertung des chinesischen Renminbi seit 2004, welche zu einer Stagnation der
Exporte beigetragen hat. Aufgrund des hohen Schuldenstandes der chinesischen
Volkswirtschaft von 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist auch der
Finanzsektor deutlich angeschlagen. Darüber hinaus ist die chinesische
Wirtschaft strukturelle Veränderungen unterworfen, da die Politik der
chinesische Regierung bestrebt ist, die Abhängigkeit des Landes von
ausländischen Märkten zu reduzieren und anstelle eines exportorientierten
Modells in Hinkunft mehr inländische Wachstumsquellen erschließen möchte.
Die US-Wirtschaft [21] wiederum ist nach wie vor schwach und kann nicht
genügend neue Arbeitsplätze schaffen; selbst wenn es in den letzten Monaten zu
einer leichten Erholung kam, ist die Erwerbsquote von 66,5 Prozent vor der
Rezession 2008/09 auf heutige 62,7 Prozent zurückgegangen. Millionen von
Amerikanern haben immer noch Teilzeitjobs anstelle von Vollzeit-Arbeitsplätze,
während die Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung stagnieren oder fallen – dies
sind weitere Indikatoren, dass die Dinge derzeit nicht zum Besten stehen.
Da die US-Regierung aus eigenem keine Finanzpolitik und keine
Industriepolitik zustandebringt, sah sich die Fed (Federal Reserve, also die
Zentralbank), gezwungen, mit einer aggressiven Geldpolitik einzugreifen, wie
sie es zuvor in ihrer Geschichte noch nie getan hatte. Die Fed hat ihre
Kreditvergaben an die Banken seit 2008 vervierfacht, d.h. auf 4,5 Billionen
Dollar erhöht, und verfolgt eine riskante Politik mit geringen Zinsraten bis
hin zur Nullzinspolitik.
Dadurch hat die Fed eine gigantische Finanzspekulationsblase [22] erzeugt.
Diese in geordneter Weise abzuwickeln wird keine leichte Aufgabe sein, zumal
die US-Regierung in den kommenden zwei Jahren durch eine politische
Pattsituation gelähmt sein wird, da die republikanische Mehrheit im Kongress
den demokratischen Präsidenten an die Wand spielen und zu einer lahmen Ente
machen kann, so dass es für die US-Regierung schwierig sein wird, auf eine neue
Finanzkrise in geeigneter Weise zu reagieren.
Ein weiteres schlechtes Omen für die USA ist der Zusammenbruch der
Geldumlaufgeschwindigkeit [23], die über die letzten beinahe 20 Jahre hin
betrachtet auf einem historischen Tief angelangt ist, so wie es in den späten
1920er Jahren kurz vor Beginn der Weltwirtschaftskrise der Fall war. Dass
sowohl der politische wie auch der Finanzsektor der USA alles andere als gesund
sind, sollte für die kommenden Jahre Anlass zur Sorge sein.
2.
Die reale Gefahr eines Atomkrieges infolge der
Wiederbelebung des Kalten Krieges mit Russland
Ein Spiel mit dem Feuer in Finanzfragen ist eine Sache, das Spiel mit dem
Atomkrieg ist hingegen eine ganz andere Sache. Leider ist die von den
Neokonservativen inspirierte US-Regierung heute in beide Agenden tief
verstrickt.
Die US-Regierung hat sich seit vielen Jahren für eine aggressive
geopolitische Kriegsführung gegen Russland eingesetzt, zunächst durch ihre
Politik der geopolitischen und militärischen Einkreisung [24] Russlands, indem
sie mit der Integration der Ukraine [25] die NATO-Erweiterung bis an dessen
Grenzen vorangetrieben hat, und zweitens durch ihre Politik einer
Wirtschaftskriegführung gegen Russland, um dessen Wirtschaft zu untergraben und
in der Folge einen Regimewechsel herbeizuführen. Es ist ein Spiel mit äußerst
riskanten Einsätzen.
Einige der sichtlich Wahnsinnigen unter den Neocons treten bereits offen
für einen neuen Weltkrieg [26] ein, wobei natürlich Russland der präsumptive
Gegner ist, da sie gegen dieses Land offenbar persönliche Animositäten haben.
Das Schlimme dabei ist, das Präsident Barack Obama auf einige dieser
Wahnsinnigen zu hören scheint.
Öl als geopolitisches Werkzeug
Der 50-prozentige Preissturz beim Ölpreis im Jahr 2014 kann als Teil eines
weitangelegten von den USA geführten Wirtschaftskrieges [27] angesehen werden,
der die russische Wirtschaft destabilisieren und einen Öl-Slump (Zusammenbruch)
[28] provozieren soll, da ja 50 Prozent der russischen Staatseinnahmen
bekanntlich aus seinen Exportverkäufe von Erdöl und Erdgas stammen. Die
politischen Entscheidungsträger in Washington wollen in erster Linie die
Lieferabhängigkeit zwischen Gazprom und EU aufbrechen, um Russland dadurch zu
schwächen und eine Lieferkontrolle über die EU vermittels amerikanischer
Verbündeter wie Saudi-Arabien und Katar zu erzielen.
Eine solcherart künstlich herbeigeführter Zusammenbruch des Ölpreises würde
die auf Betreiben der USA Russland auferlegten wirtschaftlichen und
finanziellen Sanktionen erweitern, welche das Büro des US-Finanzministeriums
für Terrorismus und Finanzaufklärung (U.S. Treasury’s Office of Terrorism and Financial
Intelligence) [29] entworfen hatte, eine Einrichtung, welche im Jahr 2004 auf
Betreiben der AIPAC [30]
errichtet wurde. Daneben gab es auch noch andere Versuche der US-Regierung,
die Abhängigkeit Europas von russischem Erdöl und Erdgas zu verringern.
Saudi-Arabien, das über Ölkapazitäten im Überschuss verfügt, diese
kostengünstig abbauen kann und dadurch in der Lage ist, den internationalen
Ölpreis zu manipulieren, hat sich im September 2014 plötzlich und ohne
ersichtlichem Grund entschlossen, Rohöl zu stark ermäßigten Preisen zu
verkaufen und seine Ölproduktion trotz rückläufiger weltweiter Ölnachfrage auf
hohem Niveau zu erhalten.
Dies ist die genaue Umkehrung der Vorgangweise, die Saudi-Arabien und die
OPEC-Länder im Herbst 1973 eingeschlagen hatte, als sie plötzlich den Ölpreis
auf das Vierfache erhöhten und dadurch eine weltweite Rezession hervorriefen.
Die Strategie ist allerdings jener ähnlich, die Saudi-Arabien im Jahr 1986
ergriff, als es nach einer Vereinbarung mit der US-Regierung die Welt mit
billigem Erdöl überschwemmte, was zum Zusammenbruch des internationalen
Ölpreises auf unter 10 Dollar pro Barrel führte. Die seinerzeitige Zielsetzung
war die Untergrabung der Wirtschaft der Sowjetunion und des Irak, deren
damaligen Verbündeten; allerdings litten auch andere Länder wie etwa die
kanadische Wirtschaft stark unter diesem Schachzug.
Auch dieses Mal scheint eine Übereinstimmung der Interessen der
US-Regierung und denen des saudiarabischen Königreichs vorzuliegen. Aus Sicht
der US-Regierung ist es das Hauptziel, den russischen und iranischen
Energiesektor zu beeinträchtigen und die Finanzgebarung der russischen
Regierung unter Präsident Wladimir Putin zu schädigen; gleichzeitig soll die
saudiarabische Unterstützung im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) [31] im
Irak und in Syrien gesichert werden.
Aus saudiarabischer Sicht unterstützt ein Kampf um den Weltölpreis seine
regionalen und globalen Ziele in dreierlei Weise. Erstens versucht die
saudiarabische Regierung bekanntlich, die Erdöl- und Erdgasförderung im
gesamten Nahen Osten zu dominieren und sich den reichen europäischen Markt zu
sichern, wodurch sie im Gegensatz zu Iran und Syrien steht. Zweitens möchte die
saudiarabische Regierung Druck auf Russland ausüben, damit es seine Unterstützung
für das syrische Assad-Regime beendet. Drittens möchte Saudiarabien
Marktanteile zurückgewinnen, die es gegenüber teurerem Öl aus Ölschiefer und
Teersand verloren hat. Durch die Absenkung der Ölpreis hofft Saudiarabien,
konkurrierende solche Ölproduzenten aus dem Geschäft zu verdrängen, indem es
deren Produktion unrentabel macht.
Allerdings würde ein solcher Schritt auch die US-Ölproduktion aus
Ölschiefer in North Dakota stark beeinträchtigen und erdölproduzierende Staaten
wie Texas könnten in eine Rezession verfallen, obwohl die US-Wirtschaft in
Gesamtschau von billigerem Erdöl profitieren würde. Auch die Ölherstellung aus
Teersand in Alberta (Kanada) würde darunter leiden, was zu einer Abwertung des
kanadischen Dollars und möglicherweise zu einer kanadisches Rezession führen
könnte. Die Schieferöl- und Teersand-Ölindustrie wären somit die ersten
unschuldigen Opfer der von der US-Regierung und ihren Verbündeten im Nahen
Osten verfolgten weitangelegten Geopolitik.
Da das Königreich Saudiarabien ein amerikanischer Satellitenstaat ist, ist
es höchst unwahrscheinlich, dass ein Plan der Überschwemmung der Ölmärkte und
der Herbeiführung eines dramatischen Ölpreisverfalls ohne stillschweigende,
wenn nicht sogar offener Zustimmung seitens der US-Regierung zustandekam. Es
kann daher wohl angenommen werden, dass eine Vereinbarung [32] in dieser
Richtung anlässlich des Treffens zwischen US-Außenminister John Kerry und König
Abdullah im September 2014 zustandekam.
Die Ukraine als geopolitisches Pfand
Was die Destabilisierung der Ukraine [33] als Nachbarland Russlands
betrifft, so hat die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland ziemlich
deutlich bestätigt, dass die US-Regierung in den Sturz der legitimen gewählten
ukrainischen Regierung im Februar 2014 tief involviert war, wobei es das
deklarierte Ziel der USA war, eine amerikanische Marionettenregierung [34] in
der Ukraine zu installieren. Das stellt eine Verhöhnung der Demokratie dar und
zeigt auf, wie tief die US-Regierung in Machtpolitik im Ausland verstrickt ist
und sich in aggressiver Weise in die inneren Angelegenheiten anderer Länder
einmischt.
Die von Präsident Barack Obama zur stellvertretenden Außenministerin
ernannte Neokonservative Victoria Nuland hat öffentlich bestätigt, dass die
US-Regierung hat 5 Milliarden Dollar investiert hat, um die Ukraine zu
destabilisieren und einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland
herbeizuführen [35]. Man kommt unschwer zum Schluss, dass die ukrainische Krise
eine Krise „made in Washington“ ist. Nulands bekannte beleidigende Bemerkung
„Fuck the EU“ [36] ist ein weiteres Indiz dafür, dass die US-Regierung eine
Krise mit Russland provozieren wollte, nicht um den Europäern zu helfen,
sondern um seine eigenen klargesteckten imperialen Ziele zu verfolgen, was
immer dies dem russischen Volk und den Europäern kosten würde.
Am meisten beunruhigend ist die Verantwortungslosigkeit, mit der das
US-Repräsentantenhaus am 4. Dezember 2014 die sogenannte Resolution 758 [37]
verabschiedete, die de facto einer Kriegserklärung an Russland gleichkommt; sie
basiert auf falschen Voraussetzungen, verdrehten Fakten und falschen
Anschuldigungen. Eine derart unverantwortliche Vorgangsweise zeigt deutlich, in
welch schlechten Händen sich die Führung der Welt derzeit befindet.
Wenn sowjetischen Raketen auf Kuba [38], 90 Meilen vom US-Festland
entfernt, 1962 für die US-Regierung inakzeptabel waren, wie sollen dann
US-amerikanische Raketen in der Ukraine, direkt an der russischen Grenze, im
Jahr 2015 für die russische Regierung akzeptabel sein? Wer sich ein wenig mit
der Geschichte auseinandergesetzt hat, sollte darauf eine Antwort wissen.
Schlussfolgerung
Wenn die Weltpolitik im Jahr 2015 eine Wendung zum Schlechteren nehmen
sollte, dann sollte die Welt auch wissen, wer der Schuldige ist. Manche
glauben, dass das Weltgeschehen rein zufällig ist und keine Planung dahinter
steht. Sie liegen damit falsch. Völlig falsch. Schlechtgeplante Politik oder
vorsätzliche Missetaten einzelner Regierungen sowie Operationen unter falscher
Flagge sind oft auslösend für geopolitische Krisen, seien es Finanzkrisen,
Wirtschaftskrisen oder militärische Krisen. So kommt es manchmal auch vor, dass
die „Verrückten im Keller“ für Krisen ausschlaggebend sind.
Es wird hingegen langsam auch für die uninformierten oder
falschunterrichteten Menschen unter uns immer klarer, dass das Wiederaufleben
des Kalten Krieges und die Konfrontation mit Russland von Washington aus
gelenkt wird und dass nicht Russland der Aggressor war (wie es die offizielle
Propaganda und glauben machen möchte), sondern dass Russland vielmehr auf eine
ganze Reihe von US-gelenkten Provokationen lediglich reagiert hat.
Warum gab es so viele destabilisierende Interventionen der US-Regierung auf
der ganzen Welt und wer profitiert von dieser künstlich verursachten
Instabilität am meisten? Das ist eine gute Frage, die einfache amerikanische
Bürger sich fragen sollten.
Auf nationaler Ebene wäre in den USA zu hinterfragen, ob die US-Wirtschaft
weiterhin von Bankern geführt werden sollte. Auf internationaler Ebene wäre die
Frage zu stellen, ob die US-Regierung ihre Politik weiterverfolgen soll, die
russische Regierung bewusst in die Enge zu treiben und Maßnahmen zu ergreifen,
um die russische Wirtschaft zu zerstören. Das sind im Grunde Kriegshandlungen.
Sind einfache amerikanische Bürger mit dieser Politik einverstanden? Wer wird
am meisten profitieren und wer am meisten verlieren, wenn es zu einem nuklearen
Krieg mit Russland kommt? Da die Europäer an der vordersten Front eines solchen
Konflikts stehen würden, ist das eine Frage, die auch in Europa zu beantworten
ist.
Was die Welt heute dringend benötigt, ist ein rechtstaatlich organisiertes
internationalen Umfeld und keinesfalls ein chauvinistisches Ein-Welt-Imperium,
das ausschließlich auf seine Eigeninteressen achtet.
Noch grundsätzlicher formuliert, sollte man die falschen Ideologie des
Zusammenstoßes zwischen den Nationen (clash between nations) ablehnen. Sie ist
ein schwerer und gefährlicher Trugschluss, der die Welt in eine Katastrophe
stürzen könnte.
__________
*) Rodrigue Tremblay (geb. am
13. Oktober 1939), 1976-79 kanadischer Industrie- und Handelsminister,
emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität von
Montreal, spezialisiert auf Makroökonomie, internationalen Handel und Finanzen
sowie öffentliche Finanzen. Professor Tremblay ist Autor mehrerer Bücher über
Wirtschaft und Politik, darunter The New American Empire (2003) und The
Code for Global Ethics (2010).
Anmerkungen:
[4] en.wikipedia.org/wiki/Bush_Doctrine;
de.wikipedia.org/wiki/National_Security_Strategy_vom_September_2002
[9] s. Fußnoten [2] und [3]
[14] en.wikipedia.org/wiki/The_New_Pearl_Harbor; www.amazon.com/New-Pearl-Harbor-Disturbing-Administration/dp/1566565529/
[15] en.wikipedia.org/wiki/War_in_Afghanistan_(2001%E2%80%93present),
de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan_seit_2001
[19] econ.economicshelp.org/2007/03/economic-problems-of-european-union.html
[nicht aktuell!]
[30] topdocumentaryfilms.com/aipac-the-israeli-lobby/;
de.wikipedia.org/wiki/American_Israel_Public_Affairs_Committee
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